„Du willst wo entbinden???“ Als ich das erste Mal das Geburtshaus gegenüber meiner Mutter erwähnte, schaute sie genau so, wie ich es erwartet hatte. Ihr Blick sagte eindeutig: „Du bist Kinderärztin, du kennst doch die Risiken. Warum willst du nicht im Krankenhaus entbinden?“
Ja, ich bin Kinderärztin. Schlimmer noch, ich arbeite als angehende Neonatologin mit (Extrem-)Frühchen und all den Babys, die unter Geburt Probleme hatten bzw. diese nach Geburt entwickeln. Ich habe vieles gesehen, was dafür sprechen würde, in einem netten Kreißsaal mit angeschlossener Kinderklinik zu entbinden. Aber gerade weil ich so eng mit dem Kreißsaal Kontakt habe, war die Entscheidung für das Geburtshaus so wichtig und richtig für mich. Denn in meinem Beruf sehe ich auch was passiert, wenn wir Ärzte in den natürlichen Geburtsverlauf eingreifen.
Als wir uns das Geburtshaus im April 2020 das erste Mal anschauten, waren wir sofort von der heimeligen Atmosphäre angetan. Die nette Art der Hebammen, die Aussicht von all den Dingen verschont zu bleiben, die ich ohnehin nicht wollte (Schmerztropf, PDA etc.) sowie die aktuell kursierende Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen im Klinikbereich taten ihr übriges: Ich wusste, hier ist der Ort, an dem ich entspannt entbinden kann. Mein Mann konnte diese Entscheidung gut verstehen und war einverstanden. Was folgte, war eine unkomplizierte Schwangerschaft, die Vorsorgen mit Ultraschallkontrolle erfolgten bei meiner Gynäkologin, die meine Entscheidung zum Glück verstehen konnte, alle weiteren im Geburtshaus. Ich war glücklich mit meiner Entscheidung und hatte keinerlei Zweifel.
Bis ich in der 39. Schwangerschaftswoche eine Pankreatitis aufgrund eines Gallensteinabgangs entwickelte und in einer Münsteraner Klinik behandelt werden musste. Aufgrund meiner Schwangerschaft wurde ich natürlich auch von den Kollegen der Gynäkologie betreut. Diese behaupteten nach zweimaligem Ultraschall mein Kind wäre viel zu klein und wahrscheinlich unterversorgt, obwohl die Werte meiner Plazentadurchblutung völlig normal waren und mein Kind quietschfidel durch den Bauch tobte. Von meinem Vorhaben im Geburtshaus zu entbinden wurde mir vehement abgeraten, die Empfehlung war spätestens am Termin einzuleiten. Mehr als einmal fiel der Satz: „Sie als Kollegin kennen ja die Risiken, die so eine außerklinische Geburt mit sich bringt“. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, war bis dahin doch immer alles in Ordnung gewesen. Die Möglichkeit, dass mein Kind vielleicht nur zart bzw. ihre Messungen schlichtweg falsch waren, zogen die Gynäkologen nicht in Betracht. Mein Glück in dieser Situation war, dass ich mehrfach mit Kathrin telefonieren konnte. Sie beruhigte mich, bestärkte mich in dem, was ich ohnehin schon dachte und gab mir die Sicherheit, dass die Empfehlung der Gynäkologen erstmal nichts an meinem Plan ändern müsse. Nach drei Tagen durfte ich das Krankenhaus verlassen. Bei der nächsten Kontrolle im Geburtshaus einige Tage später konnte von den Hebammen keine Veränderung meiner Schwangerschaft festgestellt werden, die Ergebnisse der Vorsorge passten zu allen vorherigen. Ein Kontrolltermin bei meiner Gynäkologin am nächsten Tag bestätigte unsere Vermutungen: Meinem Kind ging es wunderbar, es war normal entwickelt und wog laut dieser Messung um die 3000g. Hätte ich auf die Klinikgynäkologen gehört, wäre dies der Beginn einer klassischen Interventionskaskade gewesen.
Unser Geburtstermin Mitte Oktober verstrich ohne merkliche Wehen meinerseits. Tatsächlich hatte ich damit gerechnet, auch ich und meine beiden Geschwister wurden alle erst 10-14 Tage nach Termin geboren. Doch nachdem 10 Tage ins Land gingen wurde ich zunehmend unruhig. Ich bin ein Kopfmensch, die Vorstellung nur wegen der 14 Tage Grenze doch noch in der Klinik entbinden zu müssen, setzte mich merklich unter Druck. Bei 40+11 SSW entschieden wir uns zur Einleitung im Geburtshaus. Der erste Einleitungsversuch stieß zwar ein paar mehr Wehen an, endete aber nach einer Nacht im Geburtshaus ohne Ergebnis. Da es unserem Kind laut CTG aber weiterhin gut ging, wurden wir zunächst noch einmal mit dem guten Rat „Zieht euch die Decke über den Kopf und weint ruhig mal eine Runde, die Enttäuschung muss raus“ nach Hause geschickt. Auch dafür bin ich sehr dankbar, denn zumindest ich habe diesen Rat befolgt und es auch tatsächlich gebraucht. Bei 41+13 entschieden wir uns zu einem zweiten und letzten Einleitungsversuch. Auch wenn ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, stauten sich in mir Panik, Angst und Sorge vor dem nächsten Tag. Auch hier reagierten Lina und Bea mit sehr viel Verständnis und nach mehreren Gesprächen, bei denen ich meinen Kopf irgendwann mal ausschalten und die Tränen rollen lassen konnte, löste sich meine Sperre im Kopf merklich auf und die Wehen setzten ein. Und wie! Durch die rasante Eröffnungsphase wurden wir ruhig und bestärkend von Bea begleitet. Laufen, Wanne, Wechsellagern, wir machten alles mit ohne je das Gefühl zu bekommen uns würde etwas aufgezwungen. Ich konnte loslassen und komplett darauf vertrauen, das mein Körper und Bea schon genau wissen, was getan werden muss. Nach knapp 5 Stunden wurde unser (normal großer!) Sohn geboren und konnte in Ruhe und ohne Stress in dieser Welt ankommen. Nicht zuletzt bin ich besonders dafür extrem dankbar und für mich steht fest: Für uns war das Geburtshaus die beste Entscheidung, die wir treffen konnte.